In der Ecke des Konferenzraums liegt ein Haufen Plastikmüll. Natürlich keine müffelnden Joghurtbecher und schmierigen Wurstfolien aus der gelben Tonne, sondern gebrauchte Transportverpackungen aller Art. Dosenpaletten, Kunststoff-Träger für Parfumfläschchen sowie Kosmetika, Versandbehälter, Packmittel für Zwischenprodukte in der Industrie. Die kleine Deponie steht für einen hohen Anspruch: die Entwicklung umweltfreundlicher Alternativen aus natürlichen Materialien.
„Weniger Kunststoffverpackungen und Plastiktüten im Supermarkt sind ein wichtiger Anfang. Tatsächlich entsteht der meiste Plastikmüll aber in der Industrielogistik und im Transport“, sagt Tahsin Dag, Gründer und Geschäftsführer der Papacks Sales GmbH. Seit fünf Jahren ist das Unternehmen am Markt und wirbt für seine Verpackungen aus Altpapier und Naturfasern wie Nutzhanf oder Agrarabfällen, die vollständig wiederverwertet oder recycelt werden können. Der Anfang war holprig. Aber die intensive, öffentliche Auseinandersetzung und die wiederkehrenden Schockbilder über die Folgen der Plastikflut zeigen Wirkung. „Mittlerweile hört man uns in Industrie und Handel sehr genau zu“, sagt Dag am Unternehmenssitz in Köln.
Schon weil das Thema Verbraucher und Kunden bewegt, müssen sich Industrie und Handel etwas einfallen lassen. Plastikmüll verdirbt den ökologischen Ruf und den Anspruch auf eine nachhaltige Produktion. Gleichzeitig zwingen die neuen politischen Vorgaben zum Handeln. Denn das neue deutsche Müllgesetz zielt künftig verstärkt auf die Wurzel des Übels: Kunststoffverpackungen sollen von vornherein so erstellt werden, dass sie sich möglichst problemlos verwerten lassen. Sonst wird es teuer, weil dann die Entsorgungsgebühren steigen, die Handel und Industrie an ein duales System wie den Grünen Punkt abführen müssen (F.A.Z. vom 22. Juni). Da kann es sich möglicherweise lohnen, gleich ganz auf Plastik zu verzichten.
Was Papacks anbietet, ist auf den ersten Blick ein alter Hut. Im Rohzustand erinnern die Verpackungen an umgestaltete Eierkartons. Das war tatsächlich der Ausgangspunkt. Inzwischen setzt das Start-up, das die Produktion an die österreichische Goerner Group und andere internationale Partner vergeben hat, auf eine ausgefeilte Technik. Papacks hat sie sich mit rund einem Dutzend Patenten schützen lassen. Im Faserguss-Verfahren entstehen auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden zugeschnittene Formteile. Für Branchen wie Parfümabfüllung, Pharma und Autoindustrie hat Papacks mehrere hundert verschiedene Varianten entwickelt.
Um möglichst flexibel auf die Anforderungen eingehen zu können, werden die Gussformen mit dem 3D-Drucker hergestellt. Gegenüber dem herkömmlichen Verfahren spare dies bis zu 80 Prozent der Kosten ein, erläutert der 34 Jahre alte Dag, der aus der Getränkeindustrie kommt. Oberflächen könnten unterschiedlich gestaltet werden, von sehr glatt und fein bis robust und besonders stabil. Und auch bei den Materialqualitäten biete man maßgeschneiderte Lösungen an: mit Feuchtigkeitsschutz, fettabweisend, feuerfest oder lebensmittelecht für den direkten Kontakt mit Nahrungsmitteln.
Dass Faserguss in der Verpackungsindustrie eine größere Rolle spielte, ist viele Jahrzehnte her. Bei Ebay hat Dag ein hübsches Beispiel ersteigert: eine Flasche aus Naturfaser, in die der Düsseldorfer Waschmittelkonzern Henkel seinen Haushaltsreiniger Ata abfüllte. Das Exemplar stammt aus dem Jahr 1925. „In den fünfziger Jahren ist die Faserguss-Technik stehen geblieben, während die Kunststoffverarbeitung einen riesigen Vorsprung gewann. Den holen wir jetzt mit digitaler Technik und ausgefeilten Produktionsverfahren wieder auf“, sagt Arno Neumann, der sich um die Entwicklung und das Projektmanagement kümmert. Preislich können die Papacks-Lösungen nach seinen Angaben jetzt schon sehr gut mithalten. Immerhin 25000 Tonnen Plastikverpackungen werde das Unternehmen in diesem Jahr mit seinen „grünen Alternativen“ für Transportverpackungen und ähnliche Anwendungen ersetzen.
Rund 3,5 Millionen Euro Umsatz kalkuliert das Start-up für 2018, in drei Jahren sollen es mehr als 20 Millionen sein. Für den nächsten Wachstumsschritt rede man mit mehreren Beteiligungsgesellschaften, sagte Dag. In seinen Zukunftsplänen nimmt der Öko-Pionier unter den Verpackungsherstellern auch den Endverbrauchermarkt stärker in den Blick.
Den Anfang machten Kartonverpackungen für Non-Food-Produkte und Getränkeflaschen. Nun tüftelt man an Joghurtbechern aus Naturfasern, biologisch abbaubaren Kaffeekapseln und kompostierbaren Einwegbechern für den wachsenden To-go-Markt, der allein in Deutschland jedes Jahre 40 000 Tonnen Abfall hinterlässt. „Kunststoffrecycling schließt keine Rohstoffkreisläufe und ist deshalb keine nachhaltige Lösung“, sagt Dag.
Diesen Satz könnte auch Klaus Wohnig unterschreiben. Er geht das Plastikproblem von einer ganz anderen Seite an: mit einem Verfahren, das es erlaubt, praktisch neuwertige Polymere aus Verpackungsabfall zu gewinnen. Um sich von der etablierten Technik abzusetzen, spricht der Geschäftsführer der APK aus Sachsen-Anhalt deshalb lieber von „Newcycling“. In herkömmlichen Anlagen wird der Plastikmüll üblicherweise mechanisch aufgearbeitet und nach physikalischen Eigenschaften getrennt.
Trotz aufwendiger Technik mit Infrarotsortierung und Dichtetrennung stößt das Verfahren bei gemischten Abfällen, wie sie aus dem Hausmüll angeliefert werden, an seine Grenzen. Das im Recycling gewonnene Regranulat ist dann oft ebenfalls eine Mischung aus verschiedenen Kunststoffen, außerdem noch mit anhaftenden Papierresten und Farben verunreinigt. Daraus lassen sich Parkbänke, Einkaufskörbe oder Müllsäcke herstellen, aber keine neuen Verpackungen, wie es APK vorhat.
„Wir werden die Welt allein nicht retten, aber einen kleinen Beitrag kann unsere Technologie leisten“, sagt Wohnig, ein 50 Jahre alter Betriebswirt. Das Unternehmen verarbeitet Altkunststoffe in einer Anlage in Merseburg mit Hilfe eines chemisch-physikalischen Prozesses. Folienabfälle werden nach der Zerkleinerung in ein organisches Lösemittel gegeben, aus dem in einem mehrstufigen Verfahren praktisch reines Polyethylen als Rohstoff für die Verpackungsindustrie extrahiert werden kann. Der Clou: Es lassen sich über diesen Weg auch miteinander verklebte oder verschmolzene Mischkunststoffe verwerten, die in großen Mengen zum Beispiel für Folienverpackungen von Lebensmitteln anfallen. Die üblichen mechanischen Recyclinganlagen beißen sich daran die Zähne aus; in der Regel landet solches Material bisher in der Müllverbrennung. Auch Hartkunststoffe mit gemischter Zusammensetzung könnten über dieses Verfahren verarbeitet werden, sagte Wohnig. Rund ein Viertel des gesamten deutschen Verpackungsmülls aus Kunststoffen entfällt nach seinen Angaben auf diese beiden bisher nur schwer verwertbaren Materialgruppen.
Das Verfahren wird in einer auf eine Jahreskapazität von 8000 Tonnen ausgelegte Anlage in Merseburg in großem Stil erprobt. Allerdings kommt das Ausgangsmaterial bisher nicht aus der gelben Tonne, sondern verarbeitet werden Produktionsabfälle aus der Verpackungsindustrie. „Die Ergebnisse stimmen, Anfang 2019 wollen wir auf Material aus der Müllsammlung zurückgreifen“, sagte Wohnig. Das könnte für APK und seine Investoren den Durchbruch bringen.
Hinter dem Unternehmen stehen der Münchener Fonds MIG und die Familie Strüngmann, die sich seit dem Verkauf ihres Arzneimittelunternehmens Hexal in vielen Beteiligungen engagiert. Über die Jahre hätten die beiden Eigentümer, die Wohnig 2012 ins Unternehmen geholt haben, rund 100 Millionen Euro investiert, sagte der Geschäftsführer. Um den Absatz ist ihm nicht bange. Das Umweltbewusstsein der Verbraucher wächst, immer mehr Konsumgüterhersteller setzen deshalb auf Verpackungen aus Recyclingmaterial. Einer der Vorreiter ist der Düsseldorfer Henkel-Konzern. Die Flaschen seiner neuen Waschmittelmarke Lovables und eines Pattex-Allesklebers zum Beispiel bestehen schon vollständig aus recyceltem Kunststoff, Shampooflaschen der Serie Syoss immerhin zu einem Viertel. Bald könnten flexible Verpackungen für Waschmittel wie die Persil Duo-Caps folgen: Dafür treiben Henkel, der Verpackungshersteller Mondi, das Kunststoffunternehmen Borealis und APK in einem gemeinsamen Projekt die Entwicklung von Mehrschichtfolien aus Recyclingmaterial voran. Die bedruckten Beutel lassen sich vom Original kaum noch unterscheiden. Wenn alles glatt läuft, könnten sie 2019 auf den Markt kommen. So liegen bei APK die Pläne für die nächsten Expansionsschritte schon in der Schublade: Für weitere 60 Millionen Euro könnte in Merseburg ein Werk mit einer Jahreskapazität von 20 000 Tonnen entstehen.
Helmut Bünder
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